Was bedeutet die Krise langfristig? – Teil 2

Im ersten Teil habe ich mir über die Zukunft der Mittelstandsgesellschaft Gedanken gemacht, jetzt nachdem bestimmte Politiken der USA (also gar nicht aller kapitalistischen Länder) nicht mehr machbar erscheinen und ein politisches Problem aufgezeigt – das der zunehmenden Ausgrenzung von Bevölkerungsteilen im heutigen flexiblen Wissens- oder Technokapitalismus. Diesen Ansatz will ich nun vertiefen.

Das Problem ist, daß eine neoliberal orientierte Politik – also grob gesagt: Mehr Markt, weniger Staat! zu ungewollten Konsequenzen geführt hat, die den wirtschaftliche Stabilität der Welt und – und das erscheint mir besonders wichtig – die wirtschaftliche Machtposition der USA bedrohen. Denn auch wenn natürlich wieder meistens die Anleger und die Industriebetriebe die Rechnung der Banken begleichen müssen – nach den Rettungspaketen nun auch die Steuerzahler – so ist doch die Bilanz ernüchternd: Chinesisches und arabisches Kapital gewinnt an Einfluss und die Wirtschaft zeigt etwas, was nach der neoliberalen Theorie nicht vorkommen dürfte – sie ist in vielen Bereichen ineffizient.

Warum? Weil man sich damit beschäftigt hat – siehe Auto- und Finanzindustrie – die Bundesbehörden, also den Staat zu schmieren, um Wettbewerb abzuwenden und Kontrollen und Umweltauflagen zu vermeiden; mafiöse Vorgehensweisen also. Denn genau das steckte oft hinter der neoliberalen Rhetorik. Und was ist das Ergebnis des ganzen?

Nun ja, die Industrie geht nach China und Indien, die Zukunftstechnologien werden in Japan und Kalifornien entwickelt, was in seiner Politik eher Finnland als den tonangebenden US-Südstaaten ähnelt, die Schulen sind oft schlecht und die Mediengesellschaft so banal und fehlsteuernd, das viele junge Menschen Filmstar oder Anwalt, aber ja nicht Ingenieur oder Erfinder werden wollen. Deshalb muss auch ein Großteil der Talente aus dem Ausland angeworben werden.

In anderen Worten – die Institutionen sind mittlerweile so schlecht, dass sie die Führungsrolle nicht nur außenpolitisch, sondern auch wirtschaftlich gesehen zunehmend gefährden. Und diese Problematik hat etwas mit dem Charakter des sich immer stärker herausbildenden Techno- oder Wissenkapitalismus zu tun. Wissensentwicklung ist unsicher und oft müssen Topinnovationen von langer Hand vorbereitet und unterstützt werden. Es ist ja kein Geheimnis, dass die staatliche Finanzierung von Militärforschung viele ungewollte privatwirtschaftliche Anwendungen hatte. Und wird heute Topforschung sehr oft staatlich gestützt und das natürlich auch in den USA, die mehr als wir Europäer (in % des BIP) für Forschung und Entwicklung ausgeben.

Sämtliche Topforschungsregionen der Welt wissen um diese Langfristigkeit und versuchen die beste Mischung aus Markt und Staat zu finden (um es mal etwas vereinfacht auszudrücken), um vorn mitzuspielen. Sie folgen also nicht einem abstrakten, ahistorischen Kriterium einer ökonomischen Theorie, deren Basis mittlerweile 200 Jahre alt ist, sondern suchen pragmatisch nach best practices.

Anders ausgedrückt – sie haben implizit begriffen, das es mehrere Kategorien von Marktversagen gibt, die die Leistungsfähigkeit von modernen Marktwirtschaften in Frage stellen. Zu Polanyis klassischen Problemen (fictitious commodities) der Übernutzung von Land (Umweltbelastung), der Fehlallokation von menschlicher Arbeitskraft (soziale Spannungen) und der Fehlsteuerung der Geldpolitik fügt z.B Block noch die Bereitstellung von gesellschaftlichem Wissen und die Erhaltung eines Umfeldes echten Wettbewerbs (Antitrust, etc.) hinzu.

Und der jetzige Macht- und Prestigeverlust hat implizit gezeigt, dass es sich auch die USA im aufkommenden Wettbewerb mit China und Indien es sich nicht mehr leisten können, im großen Stil an einer im Grunde genommen längst veralteten und im Laufe der letzten zweihundert Jahre immer wieder kritisierten Ideologie (Marx – Weber – Polanyi – Perroux, Beaud und viele andere) festzuhalten.

Und das erklärt auch den schnellen Aufstieg von Barack Obama. Denn seine Themen entsprechen denjenigen der sogenannten Bilderberggruppe, dem Council on Foreign Relations und der trilateralen  Kommission – drei einflussreichen US-amerikanischen Gremien (denjenigen, die Französisch sprechen, will ich den spannenden Link nicht vorenthalten (http://www.michelbeaud.com/bilet.htm#decembre%202008). Und auch sein Ministerpersonal entstammt mehr oder weniger diesen Gremien.

Die USA werden also „klammheimlich“ von oben her modernisiert und dass wohl nicht aus Liebe zur Demokratie, sondern weil es der internationale Wettbewerb um die „creative class“ (siehe Richard Florida) es langfristig gesehen erfordert. Und auch deshalb kann Obama, ohne das viel Gewese gemacht wird, so manche heilige Kuh schlachten – Abtreibungsdiskussion, Reduzierung der Atomwaffen, Umweltverordnungen für Autos, Förderung grüner Technologien, etc. Wir sehen also den Anpassungsdruck des Kapitalismus in Aktion und zwar hin zu besseren Institutionen. Denn mittlerweile haben die Asiaten, Lateinamerikaner und Russen gelernt, dass zuviel freier Markt ihnen Schaden zufügt und schauen sehr genau hin, wem sie wann und wo Zutritt erlauben.

Allerdings löst das Verblassen der neoliberalen Ideologie in der Regierungspraxis noch nicht die Frage, wie man in Europa und in den USA mit den sich abzeichnenden sozialen Spannungen umgehen soll, die der Technokapitalismus offensichtlich hervorruft und die ich im ersten Teil schon angedeutet habe. Denn Prekarität und Ängste welche durch zuviel Flexibilität hervorgerufen werden, stellen die in der westlichen Welt die Vorstellungen vom guten Leben in der Mittelschicht in Frage und stören die ohnehin schon schwierige Entwiclklung von guten Institutionen, die erforderlich sind, um weltweit vorn mitzuspielen. Und hier haben wir einen Nachteil gegenüber aufsteigenden Nationen, die eine weniger alte Bevölkerung haben. Allerdings haben die wiederum andere Probleme.

Die Krise zeigt also nicht nur deutlich, dass die kulturelle Hegemonie der USA geringer wird, da bestimmte Praktiken an Glaubwürdigkeit (militärisch und wirtschaftlich) verlieren, sondern auch – und das habe ich im ersten Teil versucht zu sagen – dass das Mittelstandsideal problematisch wird, jetzt da seine künstliche Aufrechterhaltung (durch eine andere – konservative – Art und Weise der Sicherung des sozialen Friedens) nicht mehr machbar scheint.

Die momentane Transformation des Kapitalismus (in seiner Form des flexiblen Technokapitalismus) bringt uns also offensichtlich eine Welt, die sich stark vom bürgerlichen Mittelstandsideal entfernt – eine effiziente, aber zunehmend ungleiche und
flexible Welt, welche das Gerechtigkeitsempfinden vieler belastet. In dieser Welt werden viele Menschen nicht gebraucht und sich selbst überlassen. Das aber ist auch nichts wirklich Neues, denn wo Weltwirtschaftskrise die Schwachpunkte des nationalen Industriekapitalismus aufgezeigt hat, da zeigt die heutige Krise die Schwachpunkte des flexiblen agierenden Techno- und Wissenskapitalismus auf. (Und viele Firmen nutzen die Krise auch um ordentlich Stellen zu streichen…)

Die Frage nach der Zukunft der Arbeit ist also weiterhin spannend, wie auch die Frage, wie man den Technokapitalismus institutionell einbetten sollte, jetzt, da sich seine Konturen immer stärker abzeichnen. Und natürlich auch die Frage, welche Auswirkungen die asiatische Konkurrenz auf die westliche Welt haben. Aber darüber schreibe ich ein anderes Mal.

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2 Kommentare - “Was bedeutet die Krise langfristig? – Teil 2”

  1. Veit Says:

    Der obige Artikel übt berechtigte Kritik am heutigen Wirtschaftssystem. Doch womit dieses humanisieren? Was ihm entgegensetzen, um zu entökonomisieren? Da hoffe ich auf einen starken Sozialliberalismus. Hier ein kurzer Essay, in dem ich versuche, die Entstehung eines kommenden neuartigen Sozialliberalismus nachzuzeichnen: http://mensch-im-internet.de/etwas-sozialismus-kapital-liberal


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