Lautere und unlautere Wege aus der Arbeitslosigkeit

In den NachDenkSeiten wird in einem Artikel über ein Spiegel-Interview mit Bundespräsident Horst Köhler die Geschichte der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland gut zusammengefasst:

„Im letzten Jahr der Kanzlerschaft Helmut Schmidts 1981 lag die Arbeitslosigkeit bei 5,5%, sie stieg ab 1982 – nach der Regierungsübernahme von Helmut Kohl – auf 7,5% mit einem ersten Höhepunkt im Jahre 1985 mit 9,3%.
Mit dem Einigungsboom Anfang der 90er Jahre sank die Quote wieder auf 6,2%.
1990 wurde Köhler zum Staatssekretär im Finanzministerium berufen. Er war also selbst in verantwortlicher Position als der Einigungsboom abgewürgt und die Wirtschaft von 1993 bis heute ein miserables Wachstum von 1,2% hat.
Bei Köhlers Wechsel als Sparkassendirektor war die Arbeitslosenquote mit 8% wieder deutlich höher bis sie dann im letzten Jahr Kohls 1997 auf 10,8 Prozent anwuchs
Nur nach den Hartz-Reformen der Schröder-Regierung ist sie nochmals auf 11% angestiegen. (Zur Zeitreihe der Arbeitslosenstatistik siehe Statistisches Bundesamt)
Der Aufbau und die Verfestigung der Arbeitslosigkeit fand also statt, obwohl seit 1982 die neoliberalen wirtschaftspolitischen Konzepte aus dem legendären Lambsdorff-Papier Stück für Stück umgesetzt wurden.
Seit gut 24 Jahren wird also die gleiche angebotsorientierte Wirtschaftspolitik getrieben, seit einem Vierteljahrhundert gibt es einen Sozialabbau nach dem anderen und dennoch hat sich die Arbeitslosigkeit „aufgebaut und verfestigt“.
Nach jeder erdenklichen Logik müsste man eigentlich schließen: Das schwerste „politische Versäumnis“ ist, dass geleugnet wird, dass die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in Reinform gescheitert ist.
Nicht so unser Bundespräsident: Er behauptet in dem Interview, wir stünden bei der „grundlegende Erneuerung Deutschland“ „erst am Anfang“.“

Nun sind weder die makroökonomische Entwicklung – also das Ansteigen der Arbeitslosigkeit – noch die Reaktion der Politiker, Phänomene, die man nur in Deutschland antrifft. Auch anderswo in Europa, vor allem aber in den USA sind sie gang und gäbe.

Was ist passiert? Die Antwort ist einfach, aber ungeheuer komplex zugleich: Der moderne Kapitalismus braucht zur Güterproduktion immer weniger Menschen. Da aber von einer privaten Wirtschaft nur die versorgt werden, die in den Prozess eingebunden sind, fallen logischerweise immer mehr Menschen aus diesem Versorgungstyp hinaus und werden zur Last eines zur gleichen Zeit immer effizienter werdenden Produktionsapparates.

Man könnte auch sagen, dass sich der Traum von der Vollbeschäftigungsgesellschaft nur in den 50er und 60er Jahren erfüllt hat und dass sich seit Beginn der 80er Jahre auch in den westlichen Gesellschaften ein Muster entwickelt, was aus Lateinamerika hinreichend bekannt ist – unsichere Jobs und Gelegenheitsarbeiten für immer mehr Menschen. Der Soziologe Ulrich Beck hat dafür in seinem Buch „Schöne neue Arbeitswelt“ den Begriff von der Brasilianisierung des Westens geprägt.

Diese Entwicklung hat zu einer deutlichen Machtverschiebung von Arbeit hinzu Kapital geführt. Somit wird es den in den 70er und 80er Jahren entstandenen Großkonzernen möglich Druck auf Gewerkschaften und Regierungen auszuüben, und im Zweifelsfall den Standort in Niedriglohnländer zu verlagern.

Im Grunde genommen ist das Ausbleiben von Arbeit ein positives Ergebnis des nunmehr über zweihundert Jahre andauernden kapitalistischen Entwicklungsprozesses. Ökonomen wie John Stuart Mill und John Maynard Keynes sahen rosige Zeiten voraus, wenn produktionstechnische Probleme erst einmal gelöst wären.

Er stellt aber den Menschen vor eine große Herausforderung – über sich selbst und sein kleines Ego hinauszuwachsen, womit wir zum Thema kommen. Für großherzige und gleichzeitig weitsichtige Naturen wie Beck scheint das weniger ein Problem zu sein. Sie haben begriffen, dass der Satz „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“, katastrophale Folgen hat in einer Zeit, in der der Arbeitende einfach nicht so billig produzieren kann, wie durchorganisierte Großkonzerne und demzufolge auch keine Käufer findet. Sie fordern denn auch ein Bürgergeld, um die Grundversorgung sicherzustellen und das Leben wieder planbarer und lebenswerter zu machen.

Alternativ gibt es auch Vorschläge, die Wirtschaftsstruktur so zu verändern, dass lokale Wirtschaftsstrukturen gestärkt werden, um Entwicklung auch in der Peripherie möglich zu machen. Somit würde ineffizienter, aber sozialer und wegen der neu geschaffenen checks and balances sicherlich auch ökologischer produziert werden. Ein nachhaltiges und langsameres Wirtschaften würde vielerorts auch neuen Lebenssinn stiften.

Allerdings haben Reformer aller Art die Rechnung ohne den Wirt gemacht, namentlich die weltweit agierenden Großkonzerne, die weder für die sozialen Folgen ihrer Handlungen aufkommen, noch Macht abgeben wollen. Und für die Erhaltung dieser Macht tun sie einiges.

Dabei reicht die Palette von der großzügigen Vorbereitung von Gesetzesvorlagen, unlauteren Marktbereinigungsstrategien, der Vorspiegelung eines nicht-existenten Ökoimages (Fall Shell) über die gezielte Manipulation der Medien, der Inhalte einschlägiger Kurse an den Universitäten (nur keine Wirtschaftskritik…) und des Kurses von öffentlichen Forschungsinstituten bis hin zur direkten Bestechung, oder wenn das nicht hilft, der öffentlichen Verleumdung oder gar Beseitigung des Betreffenden.

Das Traurige ist, dass auf diese Weise unsere freiheitliche Kultur beschädigt wird und wir de facto eine Art gesellschaftlichen Rückschritt hin zu einer neuen Art von Feudalismus mit den entsprechenden Klassenunterschieden hinnehmen müssen. Dabei ist die nationale Politik handlungsunfähig und die existierende politische Kaste zu allem veranlagt und bereit, nur nicht dazu, fundamentale Probleme zu lösen. Was zählt ist das Sichern von Pfründen und gekonnte Herumlavieren um die eigentlichen Probleme.

Was entsteht ist also eine kleingeistige Kultur, welche es vorzieht, die vorhandenen Probleme zu verdrängen, anstatt sie anzugehen. Nebenbei altert die Gesellschaft, die Jugend wird mit den üblichen Mitteln dummgestellt oder verliert sich in Drogen und die allgemeine Kreativität und Lebensfreude nimmt ab.

Fragt sich nur, ob wir mit derart eingestellten Eliten im internationalen Wettbewerb langfristig wettbewerbsfähig sein werden.

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One Comment - “Lautere und unlautere Wege aus der Arbeitslosigkeit”


  1. […] Weg. Dort sind bereits diverse interessante Artikel zu finden, beispielsweise über “Lautere und unlautere Wege aus der Arbeitslosigkeit” und “Der traurige Aufstieg Amerikas zur Hauptquartierswirtschaft“. Leider hatte […]


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